Asymptotische Erwartungstreue

Die asymptotische Erwartungstreue,[1] auch asymptotische Unverfälschtheit[2] oder asymptotische Unverzerrtheit[3] genannt, ist eine Eigenschaft eines Punktschätzers in der mathematischen Statistik. Anschaulich sind asymptotisch erwartungstreue Schätzer solche, die für endliche Stichproben nicht erwartungstreu sind, also eine systematische Verzerrung aufweisen. Diese verschwindet aber im Grenzwert bei immer größer werdenden Stichprobenumfängen.

Definition

Gegeben sei ein statistisches Modell ( X N , A N , ( P ϑ N ) ϑ Θ ) {\displaystyle (X^{\mathbb {N} },{\mathcal {A}}^{\mathbb {N} },(P_{\vartheta }^{\mathbb {N} })_{\vartheta \in \Theta })} , welches das unendliche Wiederholen eines Experimentes formalisiert. Des Weiteren sei eine Folge von Punktschätzern

T n : X n R {\displaystyle T_{n}\colon X^{n}\to \mathbb {R} }

gegeben und eine zu schätzende Funktion

g : Θ R {\displaystyle g\colon \Theta \to \mathbb {R} } .

Dann heißt die Folge T n {\displaystyle T_{n}} asymptotisch erwartungstreu, wenn

lim n E ϑ ( T n ) = g ( ϑ ) {\displaystyle \lim _{n\to \infty }\operatorname {E} _{\vartheta }(T_{n})=g(\vartheta )} für alle ϑ Θ {\displaystyle \vartheta \in \Theta } .

Dabei bezeichnet E ϑ {\displaystyle \operatorname {E} _{\vartheta }} den Erwartungswert bezüglich des Wahrscheinlichkeitsmaßes P ϑ N {\displaystyle P_{\vartheta }^{\mathbb {N} }} .

Beispiel

Ein typischer asymptotisch erwartungstreuer Schätzer entsteht im Normalverteilungsmodell, wenn man bei unbekanntem Erwartungswert die Varianz mittels der Maximum-Likelihood-Methode schätzt.

Das statistische Modell ist gegeben durch

( R N , B ( R N ) , N μ , σ 2 N ) {\displaystyle (\mathbb {R} ^{\mathbb {N} },{\mathcal {B}}(\mathbb {R} ^{\mathbb {N} }),{\mathcal {N}}_{\mu ,\sigma ^{2}}^{\otimes \mathbb {N} })}

für ( μ , σ 2 ) R × ( 0 , ) {\displaystyle (\mu ,\sigma ^{2})\in \mathbb {R} \times (0,\infty )} , der Maximum-Likelihood-Schätzer für eine Stichprobe der Größe n {\displaystyle n} durch

T n ( X ) = 1 n i = 1 n ( X i 1 n j = 1 n X j ) 2 {\displaystyle T_{n}(X)={\frac {1}{n}}\sum _{i=1}^{n}\left(X_{i}-{\tfrac {1}{n}}\sum _{j=1}^{n}X_{j}\right)^{2}} ,

die (unkorrigierte) Stichprobenvarianz. Die zu schätzende Funktion ist

g ( σ ) = σ 2 {\displaystyle g(\sigma )=\sigma ^{2}}

Bezeichne der Einfachheit halber P ( μ , σ 2 ) = N μ , σ 2 N {\displaystyle P(\mu ,\sigma ^{2})={\mathcal {N}}_{\mu ,\sigma ^{2}}^{\otimes \mathbb {N} }} die entsprechende Wahrscheinlichkeitsverteilung der statistischen Modells. Dann ist nach dieser Rechnung

E P ( μ , σ 2 ) ( T n ) = n 1 n σ 2 {\displaystyle \operatorname {E} _{P(\mu ,\sigma ^{2})}(T_{n})={\frac {n-1}{n}}\sigma ^{2}} .

Der Schätzer ist also nicht Erwartungstreu. Insbesondere gilt für die Verzerrung

Bias T n ( σ ) = σ 2 n {\displaystyle \operatorname {Bias} _{T_{n}}(\sigma )={\frac {\sigma ^{2}}{n}}}

Der Schätzer ist aber asymptotisch Erwartungstreu, denn es ist

lim n E P ( μ , σ 2 ) ( T n ) = σ 2 = g ( σ ) {\displaystyle \lim _{n\to \infty }\operatorname {E} _{P(\mu ,\sigma ^{2})}(T_{n})=\sigma ^{2}=g(\sigma )} .

Allgemeinere Formulierungen

Es existieren noch allgemeinere Formulierungen als die oben angegebene. Dabei werden die Voraussetzungen, dass es sich um eine Wiederholung des immer selben Experiments handelt (unendliches Produktmodell) fallen gelassen.

Formal wird dann ein Wahrscheinlichkeitsraum ( Ω , A , P ϑ ) {\displaystyle (\Omega ,{\mathcal {A}},P_{\vartheta })} für ϑ Θ {\displaystyle \vartheta \in \Theta } definiert sowie eine Folge von Zufallsvariablen ( X i ) i N {\displaystyle (X_{i})_{i\in \mathbb {N} }} auf diesem Wahrscheinlichkeitsraum.

Eine Folge von Punktschätzern T n = T n ( X 1 , X 2 , , X n ) {\displaystyle T_{n}=T_{n}(X_{1},X_{2},\dots ,X_{n})} heißt dann asymptotisch erwartungstreu für die Funktion g {\displaystyle g} , wenn

lim n E ϑ ( T n ( X 1 , X 2 , , X n ) ) = g ( ϑ ) {\displaystyle \lim _{n\to \infty }\operatorname {E} _{\vartheta }{\bigl (}T_{n}(X_{1},X_{2},\dots ,X_{n}){\bigr )}=g(\vartheta )}

für alle ϑ Θ {\displaystyle \vartheta \in \Theta } .

  • O.V. Shalaevskii: Asymptotically-unbiased estimator. In: Michiel Hazewinkel (Hrsg.): Encyclopedia of Mathematics. Springer-Verlag und EMS Press, Berlin 2002, ISBN 1-55608-010-7 (englisch, encyclopediaofmath.org). 

Literatur

  • Ludger Rüschendorf: Mathematische Statistik. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-41996-6, doi:10.1007/978-3-642-41997-3. 
  • Hans-Otto Georgii: Stochastik. Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. 4. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 2009, ISBN 978-3-11-021526-7, doi:10.1515/9783110215274. 
  • Claudia Czado, Thorsten Schmidt: Mathematische Statistik. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2011, ISBN 978-3-642-17260-1, doi:10.1007/978-3-642-17261-8. 

Einzelnachweise

  1. Georgii: Stochastik. 2009, S. 200.
  2. Rüschendorf: Mathematische Statistik. 2014, S. 351.
  3. Czado, Schmidt: Mathematische Statistik. 2011, S. 105.