HNN-Erweiterung

In der Mathematik ist die HNN-Erweiterung eine Konstruktion aus der Gruppentheorie. Die Theorie der HNN-Erweiterungen ist von grundlegender Bedeutung in der kombinatorischen und geometrischen Untersuchung von Gruppen. HNN-Erweiterungen und amalgamierte Produkte bilden die Grundlage der Bass-Serre-Theorie. Sie wurden von Graham Higman, Bernhard Neumann und Hanna Neumann 1949 in dem Artikel "Embedding Theorems for Groups"[1] eingeführt, wo auch einige grundlegende Eigenschaften bewiesen wurden.

Eine HNN-Erweiterung ist eine Inklusion einer gegebenen Gruppe G {\displaystyle G} in eine andere Gruppe G α {\displaystyle G_{\alpha }} , so dass ein gegebener Isomorphismus zweier Untergruppen J {\displaystyle J} und K {\displaystyle K} von G {\displaystyle G} in G α {\displaystyle G_{\alpha }} durch Konjugation mit einem Element t G α {\displaystyle t\in G_{\alpha }} realisiert wird.

Man spricht in diesem Fall von einer HNN-Erweiterung über der Gruppe J {\displaystyle J} , und man spricht von einer nichttrivialen HNN-Erweiterung falls J G {\displaystyle J\not =G} ist.

Definition

Gegeben seien eine Gruppe G {\displaystyle G} , zwei Untergruppen J , K G {\displaystyle J,K\subset G} und ein Isomorphismus α : J K {\displaystyle \alpha \colon J\to K} .

Wenn G {\displaystyle G} die Präsentierung S | R {\displaystyle \langle S|R\rangle } hat dann wird G α {\displaystyle G_{\alpha }} , die HNN-Erweiterung von G {\displaystyle G} durch α {\displaystyle \alpha } , durch folgende Präsentierung definiert:

S , t   |   R ,   t j t 1 = α ( j )   j J {\displaystyle \langle S,t\ |\ R,\ tjt^{-1}=\alpha (j)\ \forall j\in J\rangle }

Weil die Gruppe G α {\displaystyle G_{\alpha }} die Erzeuger und Relationen von G {\displaystyle G} enthält ist es klar, dass es einen kanonischen Homomorphismus von G {\displaystyle G} nach G α {\displaystyle G_{\alpha }} gibt. Higman, Neumann und Neumann bewiesen, dass dieser Morphismus injektiv ist.

Normalformen und Lemma von Britton

Für Berechnungen ist es oft nützlich, Elemente von G α {\displaystyle G_{\alpha }} in eine Normalform bringen zu können. Diese Normalform ist nicht eindeutig, das Lemma von Britton beschreibt exakt, wann zwei Normalformen demselben Element entsprechen.

Normalform:

Jedes Element w G α {\displaystyle w\in G_{\alpha }} kann geschrieben werden als:

w = g 0 t ε 1 g 1 t ε 2 g n 1 t ε n g N , g i G , ε i = ± 1 {\displaystyle w=g_{0}t^{\varepsilon _{1}}g_{1}t^{\varepsilon _{2}}\cdots g_{n-1}t^{\varepsilon _{n}}g_{N},\qquad g_{i}\in G,\varepsilon _{i}=\pm 1}

Das Lemma von Britton, bewiesen 1963 in "The word problem"[2] bietet eine Möglichkeit, die nichttrivialen Elemente einer HNN-Erweiterung zu beschreiben:

Lemma von Britton: Sei w G α {\displaystyle w\in G_{\alpha }} in obiger Normalform, so dass

  • entweder N = 0 {\displaystyle N=0} und g 0 1 G {\displaystyle g_{0}\not =1\in G} ,
  • oder N > 0 {\displaystyle N>0} und in w kommen keine Teilwörter der Form t j t 1 {\displaystyle tjt^{-1}} mit j J {\displaystyle j\in J} oder t k t 1 {\displaystyle tkt^{-1}} mit k K {\displaystyle k\in K} vor,

dann ist w 1 {\displaystyle w\not =1} in G α {\displaystyle G_{\alpha }} .

Eigenschaften

Sei G {\displaystyle G} eine Gruppe und G α {\displaystyle G_{\alpha }} ihre HNN-Erweiterung mittels eines Isomorphismus α : J K {\displaystyle \alpha \colon J\to K} zweier Untergruppen.

  • Wenn G {\displaystyle G} abzählbar ist, dann auch G α {\displaystyle G_{\alpha }} .
  • Wenn G {\displaystyle G} endlich erzeugt ist, dann auch G α {\displaystyle G_{\alpha }} .
  • Wenn G {\displaystyle G} torsionsfrei ist, dann auch G α {\displaystyle G_{\alpha }} .

Topologische Interpretation

Es sei X {\displaystyle X} ein zusammenhängender Raum mit zwei zusammenhängenden Teilmengen A , B X {\displaystyle A,B\subset X} , für die es einen Homöomorphismus ϕ : A B {\displaystyle \phi \colon A\to B} gibt. Wir definieren auf X {\displaystyle X} eine Äquivalenzrelation durch

x y x A , y B , y = ϕ ( x ) {\displaystyle x\sim y\Longleftrightarrow x\in A,y\in B,y=\phi (x)} oder x B , y A , y = ϕ 1 ( x ) {\displaystyle x\in B,y\in A,y=\phi ^{-1}(x)}

und bezeichnen mit Y = X / {\displaystyle Y=X/\sim } den Quotientenraum dieser Äquivalenzrelation. Dann ist die Fundamentalgruppe von Y {\displaystyle Y} eine HNN-Erweiterung der Fundamentalgruppe von X {\displaystyle X} .

Genauer: sei x 0 X {\displaystyle x_{0}\in X} ein Basispunkt, y 0 = [ x 0 ] X {\displaystyle y_{0}=\left[x_{0}\right]\in X} und für Basispunkte a 0 A , b 0 = ϕ ( a 0 ) B {\displaystyle a_{0}\in A,b_{0}=\phi (a_{0})\in B} wähle Wege von a 0 {\displaystyle a_{0}} bzw. b 0 {\displaystyle b_{0}} nach x 0 {\displaystyle x_{0}} und entsprechende Identifizierungen von π 1 ( A , a 0 ) , π 1 ( B , b 0 ) {\displaystyle \pi _{1}(A,a_{0}),\pi _{1}(B,b_{0})} mit Untergruppen J , K π 1 ( X , x 0 ) {\displaystyle J,K\in \pi _{1}(X,x_{0})} . Der Homöomorphismus ϕ {\displaystyle \phi } induziert einen Isomorphismus ϕ : π 1 ( A , a 0 ) π 1 ( B , b 0 ) {\displaystyle \phi _{*}\colon \pi _{1}(A,a_{0})\to \pi _{1}(B,b_{0})} und damit einen Isomorphismus α : J K {\displaystyle \alpha \colon J\to K} . Dann ist

π 1 ( Y , y 0 ) = π 1 ( X , x 0 ) α {\displaystyle \pi _{1}(Y,y_{0})=\pi _{1}(X,x_{0})*_{\alpha }} .

Der Beweis benutzt den Satz von Seifert und van Kampen.

Bass-Serre-Theorie

Die HNN-Erweiterung G α {\displaystyle G_{\alpha }} kann interpretiert werden als Fundamentalgruppe des Gruppengraphen mit einer Ecke v und einer Kante e, Kantengruppe G e := G {\displaystyle G_{e}:=G} , Eckengruppe G v := J {\displaystyle G_{v}:=J} und Monomorphismen

α 0 , α 1 : G e G v {\displaystyle \alpha _{0},\alpha _{1}\colon G_{e}\to G_{v}}

gegeben durch α 0 = i d {\displaystyle \alpha _{0}=id} und α 1 = α {\displaystyle \alpha _{1}=\alpha } .

Literatur

  • H. Zieschang, E. Vogt, H.-D. Coldewey: Flächen und ebene diskontinuierliche Gruppen. (= Lecture Notes in Mathematics. Vol. 122). Springer-Verlag, Berlin/ New York 1970, ISBN 3-540-04911-8.
  • Jean-Pierre Serre: Arbres, amalgames, SL2. (= Astérisque. No. 46). Société Mathématique de France, Paris 1977, Kapitel 1.4.
  • Ralph Stöcker, Heiner Zieschang: Algebraische Topologie. Eine Einführung. (= Mathematische Leitfäden). 2. Auflage. B. G. Teubner, Stuttgart 1994, ISBN 3-519-12226-X.
  • Peter Scott, Terry Wall: Topological methods in group theory. (= London Math. Soc. Lecture Note Ser. 36). Homological group theory (Proc. Sympos., Durham, 1977), Cambridge Univ. Press, Cambridge/ New York 1979, ISBN 0-521-22729-1, S. 137–203. (online)
  • John Stillwell: Geometry of surfaces. Corrected reprint of the 1992 original. Universitext. Springer-Verlag, New York 1992, ISBN 0-387-97743-0, Kapitel 9.2.2.
  • HNN-Extension (Encyclopedia of Mathematics)
  • Gruppen und Graphen

Einzelnachweise

  1. Graham Higman, B. H. Neumann, Hanna Neumann: Embedding theorems for groups. In: J. London Math. Soc. Band 24, 1949, S. 247–254.
  2. John L. Britton: The word problem. In: Ann. of Math. Band 77, Nr. 2, 1963, S. 16–32.