Kriegsgefangenenlager Quedlinburg

Denkmal am Standort des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers
Denkmal der Kriegsgefangenen auf dem Zentralfriedhof
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Das Kriegsgefangenenlager Quedlinburg war ein mittelgroßes deutsches Kriegsgefangenenlager im Ersten Weltkrieg. Es wurde 1914/1915 auf dem Ritteranger zwei Kilometer nördlich von Quedlinburg errichtet, hatte 48 Gefangenenbaracken und drei Außenlager in Aschersleben, Staßfurt und Atzendorf.[1]

Während des Krieges waren hauptsächlich russische, französische, belgische und englische, seit 1917 auch italienische Mannschaftssoldaten interniert. Sie wurden von Anfang an zum Aufbau des Lagers und später als Arbeitskräfte in Arbeitskommandos besonders in der Landwirtschaft eingesetzt.

Auch nach dem Krieg wurde es als Durchgangslager benutzt. Erst 1921 verließen die letzten russischen Gefangenen das Lager, woraufhin es niedergebrannt wurde. 703 verstorbene Kriegsgefangene wurden auf einem speziellen Teil des Zentralfriedhofs Quedlinburg beigesetzt.

Erhalten ist am ehemaligen Standort des Lagers ein Denkmal, das von Kriegsgefangenen errichtet wurde. Im Zuge der Bauvorbereitungen für die Bundesstraße 6 fanden im Jahr 2004 archäologische Grabungen statt, bei denen Grundrisse von Gebäuden und Gebrauchsgegenstände gefunden wurden.

Infrastruktur des Lagers

Das Lager wurde auf 104 Hektar Fläche mit 48 Baracken für die Gefangenen errichtet. Um Fluchtversuche zu verhindern wurden Stacheldrahtzäune errichtet. In acht Doppelreihen standen je drei Baracken giebelseitig aneinander.

Baracken der Gefangenen

Am 23./24. September 1914 trafen die ersten französischen Gefangenen in Quedlinburg ein. Den Gefangenen wurde angeboten, als Zimmermann oder Tischler zu arbeiten. Diese Freiwilligen unterstützten die einheimischen Zimmerleute, die beauftragt waren, die Baracken zu errichten. Die restlichen Gefangenen wurden dazu eingesetzt, Entwässerungsgräben auszuheben. Das Lager lag auf einem sehr feuchten Teil der Bodeaue und der Boden musste zunächst für eine Bebauung vorbereitet werden. Diese Gräben scheinen 1915/16 wieder zugeschüttet worden zu sein und in die Verfüllung wurden die Pfähle für die Stacheldrahtzäune eingefügt. Nach der Errichtung des Lagers, also den umfassenden Entwässerungsmaßnahmen und dem Barackenbau, umfasste das Lager in seiner letzten Ausbauphase eine Gesamtfläche von ca. 1.300 x 800 Metern, also ca. 100 Hektar und war damit größer als die Kernstadt von Quedlinburg. Die 48 Gefangenenbaracken standen eingezäunt von einem doppelreihigen Stacheldrahtzaun auf einem Areal von etwa 700 × 350 Metern, also ca. 23 Hektar. In 8 Doppelreihen standen jeweils drei Baracken giebelseitig aneinander. Von der nächsten Gruppe trennte sie jeweils eine Straße und auf jeder Seite ein Stacheldrahtzaun. Die hölzernen Baracken waren etwa 52 Meter lang und 12 bis 15 Meter breit, 3,5 Meter hoch und enthielten 22 Fenster. Sie boten damit eine Grundfläche von jeweils 750 Quadratmetern. Zum Schutz vor der Bodenfeuchtigkeit war der hölzerne Boden auf einer großen Zahl von Pfosten gegründet. Bei einer Belegung mit 250 Gefangenen je Baracke standen jedem Gefangenen drei Quadratmeter zu, und bei 48 Baracken konnten bis zu 12.000 Kriegsgefangene untergebracht werden. Das Barackeninnere war spärlich eingerichtet. Jeder Gefangene schlief in einem etwa 80 cm × 200 cm großen Holzbett auf Strohsäcken, zugedeckt mit Wolldecken. Die Baracken wurden durch Querwände in Hälften geteilt und jede mit einem Ofen in der Mitte beheizt. Am Südwestende eines Blocks von jeweils sechs Baracken befand sich ein Küchengebäude mit einem Schornstein in der Mitte.

Einrichtungen des Wachpersonals

Das Lager hatte auch eine Reihe von Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäuden: Nordöstlich befanden sich acht Baracken für das Wachpersonal, welches sich aus Landwehrsoldaten rekrutierte. Auf der westlichen Seite des Ditfurter Weges stand eine Reihe großer Verwaltungsgebäude, nordwestlich vom Lager isoliert befanden sich drei Krankenbaracken. Wachtürme standen in der Mitte jeder Längsseite und an strategisch wichtigen Punkten.

Persönlichkeiten

Bekannte Gefangene

  • Norman Cowan (1898–2003)[2]
  • Théophile Radin (1889–1918)[3]

Quellen und Literatur

Zeitgenössische Propaganda

  • Wilhelm Doegen, Theodor Kappstein: Kriegsgefangene Völker. Berlin 1921.
  • Joachim Kühn: Aus französischen Kriegstagebüchern. I. Stimmen aus der deutschen Gefangenschaft. Mit 16 Faksimilebeilagen. Berlin 1918.
  • Josef Risse: Die Kriegsgefangenenlager im Bezirk des IV. Armeekorps. Auf Veranlassung des stellvertretenden Generalkommandos IV. Armeekorps. Halle (Saale) 1916.

Quellen und Tagebücher

  • Rapports des délégués du gouvernement espagnol sur leurs visites dans les camps de prisonniers français en Allemagne 1914–1917. Paris 1918.
  • Martina Dienemann, Thomas Wozniak: Das Quedlinburger Kriegsgefangenenlager des Ersten Weltkrieges in französischsprachigen Quellen, in: Quedlinburger Annalen. Heimatkundliches Jahrbuch für Stadt und Region Quedlinburg 12 (2009), S. 139–148.
  • Saskia Koch, Thomas Wozniak: Der britische Kriegsgefangene Norman Cowan 1918 in Quedlinburg, in: Quedlinburger Annalen. Heimatkundliches Jahrbuch für Stadt und Region Quedlinburg 13 (2010), S. 35–48.
  • Thomas Wozniak: Das Tagebuch des Kriegsgefangenen Emile Rose (1914 bis 1918). In: Quedlinburger Annalen. Heimatkundliches Jahrbuch für Stadt und Region Quedlinburg 18 (2018/19), S. 155–170.

Forschungsliteratur

  • Jean-Claude Auriol: Les Barbelés des Bannis. La tragédie des prisonniers de guerre francais en Allemagne durant la Grande Guerre. Paris 2002.
  • Jens Brauer, Thomas Wozniak: Das Quedlinburger Kriegsgefangenenlager im Ersten Weltkrieg – Die historischen Quellen. In: Harald Meller (Hrsg.): Archäologie XXL. Archäologie an der B6n im Landkreis Quedlinburg (= Archäologie in Sachsen-Anhalt. Sonderband 21/I). Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle (Saale) 2006, ISBN 3-910010-99-7, S. 265–268.
  • Davey Cesbron, Volker Demuth, Thomas Wozniak: Das Kriegsgefangenenlager in Quedlinburg (1914–1922), in: 1100 Jahre Quedlinburg. Geschichte – Kultur – Welterbe, hrsg. von Thomas Wozniak und Clemens Bley, Michael Imhof Verlag, Petersberg bei Fulda 2023, ISBN 978-3-7319-1225-5, S. 382–390.
  • Volker Demuth: Vom Schlachtfeld an der Bode. Archäologie des Kriegsgefangenenlagers von Quedlinburg. In: Harald Meller (Hrsg.): Archäologie XXL. Archäologie an der B6n im Landkreis Quedlinburg (= Archäologie in Sachsen-Anhalt. Sonderband 21/I). Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle (Saale) 2006, ISBN 3-910010-99-7, S. 269–274.
  • Volker Demuth: ’Those Who Survived the Battlefields’ Archaeological Investigations in a Prisoner of War Camp Near Quedlinburg (Harz / Germany) from the First World War. In: Journal of Conflict Archaeology 5, H. 1, (2009), S. 163–181 (19) doi:10.1163/157407709X12634580640452
  • Volker Demuth: Spuren im heimischen Acker. Ein Kriegsgefangenenlager des Ersten Weltkriegs bei Quedlinburg im Lichte der Archäologie. In: „Gäste des Kaisers“. Die Kriegsgefangenenlager des Ersten Weltkriegs auf dem Territorium Sachsen-Anhalts, Teil 1, hrsg. von John Palatini für den Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V. und die Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt. Magdeburg 2018, ISBN 978-3-940744-91-3, S. 48–60.
  • Richard van Emden: Prisoners of the Kaiser. The last POWs of the Great War. Barnsley 2000.
  • Dorothy Jones: Quedlinburg men’s camp – Christmas in Denmark. Revised 16.1.2018 (pdf, englisch)
  • Thomas Wozniak: „… das Lager ist in jeder Beziehung musterhaft …“. Kriegsgefangene des Ersten Weltkriegs in Quedlinburg (1914–1922), in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 57 (2011), S. 125–154, ISSN 2191-9909, ISSN 0075-2614, doi:10.1515/9783110236651.125
  • Thomas Wozniak: Das Kriegsgefangenenlager Quedlinburg in den historischen Quellen. In: „Gäste des Kaisers“. Die Kriegsgefangenenlager des Ersten Weltkriegs auf dem Territorium Sachsen-Anhalts, Teil 1, hrsg. von John Palatini für den Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V. und die Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt. Magdeburg 2018, ISBN 978-3-940744-91-3, S. 16–47.
Commons: Kriegsgefangenenlager Quedlinburg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Darstellung zum Lager auf der Website der Stadt Quedlinburg (Memento vom 20. Februar 2019 im Internet Archive)
  • Fund des Monats August: Archäologie des 20. Jahrhunderts (Memento vom 20. Februar 2019 im Internet Archive)
  • La decouverte demois d aout: Un camp de prisoniers de guerre de la Premiere Guerre mondial (Memento vom 8. April 2005 im Internet Archive) (französisch)
  • Find of the month August: A POW Camp in the First World War (Memento vom 8. April 2005 im Internet Archive) (englisch)
  • Site du camp de prisonniers de guerre de Quedlinburg (französisch)

Einzelnachweise

  1. Thomas Wozniak: „… das Lager ist in jeder Beziehung musterhaft …“. Kriegsgefangene des Ersten Weltkriegs in Quedlinburg (1914–1922), in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 57 (2011), S. 125–154, hier S. 126.
  2. Richard van Emden: Prisoners of the Kaiser. The last POWs of the Great War. Barnsley 2000, S. 185.
  3. Thomas Wozniak: „… das Lager ist in jeder Beziehung musterhaft …“. Kriegsgefangene des Ersten Weltkriegs in Quedlinburg (1914–1922), in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 57 (2011), S. 125–154, hier S. 125.

51.81055555555611.182777777778Koordinaten: 51° 48′ 38″ N, 11° 10′ 58″ O