Momentenproblem

Das Momentenproblem ist ein klassisches Problem der Analysis. Statt aus einer Verteilung die Momente zu berechnen, wird das inverse Problem gelöst: aus einer gegebenen Folge von Momenten sollen Rückschlüsse auf eine mögliche, zugrundeliegende Verteilung gezogen werden, insbesondere in der Stochastik, siehe Moment (Stochastik)[1].

Dabei können zwei Fragestellungen unterschieden werden. Existiert zu einer gegebenen Folge reeller Zahlen ( c k ) k N 0 {\displaystyle (c_{k})_{k\in \mathbb {N} _{0}}} eine Verteilungsfunktion F {\displaystyle F} , so dass diese Zahlen die Folge der k {\displaystyle k} -ten Momente für die Verteilungsfunktion bilden, dass also für ein Intervall I R {\displaystyle I\subseteq \mathbb {R} }

c k = I x k d F ( x ) , k N 0 {\displaystyle c_{k}=\int _{I}x^{k}\mathrm {d} F(x),\quad k\in \mathbb {N} _{0}}

gilt? Ist diese Verteilungsfunktion durch die Angabe der Momente eindeutig bestimmt?[2]

Varianten des Momentenproblems

Die Bezeichnung Momentenproblem wurde von Thomas Jean Stieltjes eingeführt, der das Problem 1894 erstmals ausführlich untersuchte und dabei die Bezeichnungen und Konzepte aus der Mechanik übernahm.[3][4][5] Je nach Träger der Verteilung (das ist das Komplement der größten offenen Menge vom Maß null), werden unterschiedliche Varianten des Momentenproblems unterschieden.

Hamburgersches Momentenproblem

Beim Hamburgerschen Momentenproblem werden Wahrscheinlichkeitsverteilungen auf I = R = ( , ) {\displaystyle I=\mathbb {R} =(-\infty ,\infty )} betrachtet. Eine Verteilungsfunktion F {\displaystyle F} mit der Eigenschaft

c k = R x k d F ( x ) , k N 0 {\displaystyle c_{k}=\int _{\mathbb {R} }x^{k}\mathrm {d} F(x),\quad k\in \mathbb {N} _{0}}

existiert genau dann, wenn c 0 = 1 {\displaystyle c_{0}=1} und für beliebige n N {\displaystyle n\in \mathbb {N} } , x 0 , x 1 , , x n R {\displaystyle x_{0},x_{1},\dots ,x_{n}\in \mathbb {R} } die Beziehung

j , k = 0 n c j + k x j x k 0 {\displaystyle \sum _{j,k=0}^{n}c_{j+k}x_{j}x_{k}\geq 0}

gilt.[2] Dabei ist im Allgemeinen die Verteilungsfunktion F {\displaystyle F} nicht eindeutig bestimmt.[2] Eine hinreichende Bedingung für die Eindeutigkeit von F {\displaystyle F} ist die Bedingung von Carleman

n = 1 1 c 2 n 2 n = . {\displaystyle \sum _{n=1}^{\infty }{\frac {1}{\sqrt[{2n}]{c_{2n}}}}=\infty \;.} [2]

Die Verteilungsfunktion einer Normalverteilung ist eindeutig durch die Folge der Momente bestimmt.[6] Die Verteilungsfunktion einer Lognormalverteilung ist nicht eindeutig durch die Folge der Momente bestimmt, da es andere Wahrscheinlichkeitsverteilungen mit denselben Momenten gibt.[7][8]

Beim Stieltjesschen Momentenproblem ist I = [ 0 , ) {\displaystyle I=[0,\infty )} .[2] Beim Hausdorffschen Momentenproblem ist I {\displaystyle I} ein beschränktes Intervall; o. B. d. A. I = [ 0 , 1 ] {\displaystyle I=[0,1]} .[2]

Trigonometrisches Momentenproblem

Eine weitere Variante ist das trigonometrische Momentenproblem, bei dem die Verteilung auf einem Einheitskreis in Abhängigkeit vom Winkel, also ein trigonometrisches Moment gesucht wird.[9] Gegeben sei eine Folge ( d k ) k N 0 {\displaystyle (d_{k})_{k\in \mathbb {N} _{0}}} komplexer Zahlen. Unter welchen Voraussetzungen existiert eine Verteilungsfunktion auf dem Intervall [ 0 , 2 π ) {\displaystyle [0,2\pi )} mit der Eigenschaft

d k = 0 2 π e i k x d F ( x ) , k N 0 {\displaystyle d_{k}=\int _{0}^{2\pi }\mathrm {e} ^{\mathrm {i} kx}\mathrm {d} F(x),\quad k\in \mathbb {N} _{0}}

und ist diese Verteilungsfunktion eindeutig?

Die Antwort gibt ein Satz von Gustav Herglotz, der besagt, dass eine Verteilungsfunktion mit diesen Eigenschaften genau dann existiert, wenn d 0 = 1 {\displaystyle d_{0}=1} und für beliebige n N {\displaystyle n\in \mathbb {N} } , ξ 0 , ξ 1 , , ξ n C {\displaystyle \xi _{0},\xi _{1},\dots ,\xi _{n}\in \mathbb {C} } die Beziehung

j , k = 0 n d j + k ξ j ξ k 0 {\displaystyle \sum _{j,k=0}^{n}d_{j+k}\xi _{j}\xi _{k}\geq 0}

gilt.[2] In diesem Fall ist F {\displaystyle F} eindeutig bestimmt.[2]

Eine Variante der Fragestellung ergibt sich, wenn nur endlich viele Konstanten d 0 , d 1 , , d n {\displaystyle d_{0},d_{1},\dots ,d_{n}} gegeben sind und eine Verteilungsfunktion mit der Eigenschaft

d k = 0 2 π e i k x d F ( x ) , k = 1 , , n {\displaystyle d_{k}=\int _{0}^{2\pi }\mathrm {e} ^{\mathrm {i} kx}\mathrm {d} F(x),\quad k=1,\dots ,n}

gesucht ist. Dieses Problem heißt gestutztes Momentenproblem (engl. truncated moment problem).[10]

Beispiel: Bei gegebenem Mittelwert μ {\displaystyle \mu } und Varianz σ 2 {\displaystyle \sigma ^{2}} (sowie alle weiteren Kumulanten gleich 0) ist die Normalverteilung die passende Verteilung zu den Momenten.

Literatur

  • Momentenproblem (moment problem). In: P. H. Müller (Hrsg.): Lexikon der Stochastik – Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik. 5. Auflage. Akademie-Verlag, Berlin 1991, ISBN 978-3-05-500608-1, S. 271–272. 

Einzelnachweise

  1. Momentenproblem. Abgerufen am 15. Dezember 2020. 
  2. a b c d e f g h Momentenproblem. In: Lexikon der Stochastik. S. 272. 
  3. Thomas Jean Stieltjes: Recherches sur les Fractions continues. 1894 (numdam.org [PDF]). 
  4. Gene H. Golub, Gérard Meurant: Matrices, Moments and Quadrature with Applications. Princeton University Press, 2009, ISBN 1-4008-3388-4, S. 15 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). 
  5. James Alexander Shohat, Jacob David Tamarkin: The Problem of Moments. American Mathematical Society, 1943, ISBN 0-8218-1501-6, S. vii (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). 
  6. Galen R. Shorack: Probability for Statisticians (= Springer Texts in Statistics). Springer, New York 2000, ISBN 0-387-98953-6, Theorem 8.2, S. 293. 
  7. Galen R. Shorack: Probability for Statisticians (= Springer Texts in Statistics). Springer, New York 2000, ISBN 0-387-98953-6, Exercise 8.4, S. 293. 
  8. C. C. Heyde: On a property of the lognormal distribution. In: Journal of the Royal Statistical Society, Series B. Band 25, Nr. 2, 1963, S. 392–393. 
  9. Henry J. Landau: Moments in Mathematics. American Mathematical Society, 1987, ISBN 0-8218-0114-7, S. 1 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). 
  10. Henry J. Landau: Moments in Mathematics. S. 3.